Zahnärztin Beate Jürgens behandelt jetzt nur noch Notfallpatienten und dann auch nur in voller Schutzbekleidung. RP vom 17.04.2020

Schon vor dem Klingeln an der Tür weiß Anke Pecher, dass dieser Zahnarzt-Besuch anders sein wird als alle vorherigen. Mehrere Tage hatte die Oberkasselerin versucht, dem Besuch auszuweichen. Doch als die Zahnschmerzen kaum noch auszuhalten sind, kann selbst ihre Angst vor einer Infektion mit dem Coronavirus sie nicht davon abhalten.

Zahnarzt-Besuch im Corona-Modus

Als sich die Tür dann vor ihr öffnet, zuckt sie zusammen: Eine „total vermummte” Frau öffnet ihr, es ist die Sprechstundenhilfe. „Beängstigend” findet Pecher das. Dann wird sie von der Mitarbeiterin auch schon in einen Raum gebracht, um sich gründlich die Hände zu waschen. Einen anderen Patienten sieht sie nicht, die Wartezimmer sind leer. Als sie ins Behandlungszimmer geführt wird, kann sie ihre Zahnärztin Beate Jürgens kaum wiedererkennen: Sie trägt eine Schutzbrille, eine sogenannte FFP2-Maske über dem Mundschutz, eine weiße OP-Haube, einen blauen Kittel und Behandlungshandschuhe. Vom sonst so freundlich-lächelnden Gesicht ihrer Ärztin ist damit fast nichts mehr zu sehen.

An diesem Tag ist alles anders – für Anke Pecher wie für Beate Jürgens. Pecher, die mit zwei weiteren Familien das Lebensmittelgeschäft „Wundervoll” im Stadtteil betreibt, findet es erst einmal „etwas gruselig”, die Schutzkleidung von Jürgens und ihrem Team wirke geradezu „martialisch”. Doch schon nach wenigen Minuten fühlt sich Pecher dann vor allem eins: sicher. „Ich hatte vor meinem Zahnarzt-Besuch kein Coronavirus und wollte mich dann natürlich nicht in der Praxis anstecken”, sagt Pecher und lacht. Dass sie während ihres Besuchs keinem anderen Patienten begegnet, der sie womöglich infizieren könnte, und sowohl Jürgens als auch ihr Team volle Schutzbekleidung tragen und für viele weitere Schutzvorkehrungen vor Ort sorgen, das gibt Pecher während ihrer Wurzelbehandlung das Gefühl „totaler Sicherheit”.

Auch für Beate Jürgens und ihr Team ist die Behandlung von Patienten anders als sonst. Zahnärzte sind einem besonders hohen Ansteckungsrisiko ausgesetzt: Denn sie kommen nicht umhin, den Patienten sehr nahe zu kommen. Einen Sicherheitsmindestabstand von 1,5 Metern einzuhalten – unmöglich. Jürgens muss am offenen Mund arbeiten, dort, wo das Virus bevorzugt sitzt. Damit ist die Gefahr groß, dass sie sich oder andere mit dem durch Tröpfcheninfektion übertragenen Coronavirus ansteckt. Erst recht, wenn gebohrt, geschliffen oder mit Ultraschall gearbeitet wird.

Deswegen hat Jürgens, die die Praxis mit Susanne Hörmann betreibt, eine Reihe von Veränderungen in ihrer Praxis in Oberkassel eingeführt. Dazu gehört zum einen die Schutzmontur. „Schutzkleidung ist, wie Sie wissen, aber eben nur in sehr reduzierter Anzahl vorhanden. Daher beschränken wir unsere Behandlungen zur Zeit auf Schmerzpatienten und geplante Folgebehandlungen”, sagt Jürgens. Behandlungen etwa für Bleaching gibt es nicht. Das bedeutet, dass vor Ort nur noch drei bis fünf Prozent aller sonst üblichen Behandlungen überhaupt stattfinden und die Praxis täglich nur für wenige Stunden geöffnet ist. Und statt mit drei Zahnärztinnen und fünf Mundhygienikerinnen arbeitet Jürgens jetzt nur noch mit einem kleinen Team, das sich nach 14 Tagen abwechseln wird. Sie hat deswegen auch schon Kurzarbeit für einen Teil ihrer Mitarbeiter beantragt, stockt das Gehalt aber auf 100 Prozent auf, „um so unsere sehr qualifizierten Mitarbeiter zu unterstützen”.

Hygiene und Desinfektion gehörten natürlich ohnehin zum Praxisalltag, werden doch vor und nach jeder Behandlung etwa Behandlungszimmer und -stühle desinfiziert und jedes Mehrfach-Instrument, das in die Mundhöhle gelangt, nach jeder Behandlung entsprechend offizieller Hygienevorgaben desinfiziert, gereinigt und sterilisiert. Auch jeder Spiegel, jede Sonde oder Pinzette werde so aufbereitet. Doch nun muss sich das Team mehr als sonst gegen die Aerosole schützen. „Das sind Sprühnebel, die beim Bohren entstehen – mit Einmal-Produkten wie FFP2-Mundschutz und Schutzmasken”, sagt Jürgens. Ohnehin würde man nun möglichst auf das Bohren verzichten. Viruszide Lösungsmittel lässt man nun auf Gegenständen und Oberflächen länger einwirken, von Sprüh- ist auf Wischdesinfektion umgestellt worden. Auch Hygieneschulungen für die Mitarbeiter haben bereits mehrmals stattgefunden.

Termine werden nun zudem so geplant, dass Patienten kaum vor Ort warten müssen, „um die Infektionswege innerhalb der Praxis einzudämmen”. Um den Auswurf des Patienten zu minimieren, spülen die Patienten mit einer Spülung, die jetzt auch viruszid ist. Zudem wird aus hygienischen Gründen beim Patienten mit einem Kofferdam gearbeitet, bei dem der zu behandelnde Zahn vom restlichen Mundraum abgeschirmt wird, etwa bei einer Wurzelkanalbehandlung. Jürgens und ihre Mitarbeiter achten auch vor beziehungsweise nach Dienst strikt auf die Einhaltung der Hygienevorschriften. Ihre Mitarbeiter würden etwa auch beim Fahren mit öffentlichen Verkehrsmitteln die Schutzmasken tragen, sagt die Zahnärztin.

Jürgens hätte sich mehr Unterstützung vom Gesundheitssystem gewünscht – bei der Gestaltung der Arbeitsprozesse in den Praxen während der Corona-Krise, beim Beschaffen von Schutzbekleidung oder Fragen, wie lange man denn eigentlich zum Beispiel maximal eine Mundschutzmaske tragen sollte. Das sei eine Frage gewesen, für die sie lange recherchiert habe. Jürgens hat den Eindruck, dass in vielen Praxen gerade jeder „sein eigenes Ding“ macht. Auch wenn sie noch keinen positiv getesteten Patienten behandelt hat oder zumindest keiner ihrer Patienten davon berichtete, hätte sie sich allgemeingültige Regeln gewünscht.

Vieles habe sie deswegen schon früh selbst in die Hand genommen, habe viel recherchiert oder zum Beispiel sogar an einer Telefonkonferenz mit Ärzten in Wuhan teilgenommen, um Erfahrungen und Wissen auszutauschen. Doch ihre Ressourcen werden zunehmend knapper. Nur noch für wenige Wochen, befürchtet Jürgens, wird ihr Vorrat an Desinfektionsmitteln und Schutzkleidung reichen. Die teils horrenden Kosten, die inzwischen etwa für Schutzmasken verlangt werden, könnten sich Ärzte wie sie in der Regel nicht leisten. Die Arbeit als Zahnärztin im Corona-Modus – das sei eben auch eine „massive zeitliche und kostentechnische Investition”, sagt Jürgens, die auch Mutter ist.

Als ihre Mitarbeiter vor einigen Wochen anfingen, bei den Patienten Termine für Mundhygiene, Blea­ching oder Prophylaxe abzusagen, hätten viele positiv darauf reagiert und Verständnis gezeigt. Jürgens: „Vielleicht sind wir dem einen oder anderen Patienten auch zuvorgekommen.“ Anke Pecher findet dieses Vorgehen vorbildhaft: „Denn auf diese Weise wird sichergestellt, dass Notfallpatienten wie ich behandelt werden können”.